Die größte Angst des Trumpotismus
Warum Populisten die Gefühle ihrer Gefolgschaft missbrauchen
Das Streichquartett der Jungen Norddeutschen Philharmonie – vier Menschen, die die Welt am Leuchten halten.
Leserpost. Auf meinen Text vor zwei Wochen habe ich zwei inhaltliche Kommentare erhalten.
Ich habe darin meine Sicht dazu geschildert, warum wir damit beginnen müssen, die Gefühle hinter den politischen Debatten zum Thema zu machen. Denn oft sind die Argumente gegen den Wandel ja nur Strohmänner für ein grundlegendes Unbehagen gegenüber der Welt und der unangenehmen, oft wenig greifbaren Ahnung, dass Vieles an ein Ende gelangt, was über Jahrzehnte lieb und teuer geworden war und Deutschland Wohlstand und Fortschritt beschert hat.
(„Die größte Angst des Trumpotismus” zum Anhören)
Bitte! Keine Nachrichten mehr von Waldbränden, Hochwassern, Temperaturrekorden!
Dann werden geschredderte Vögel zum Beweis dafür, dass Windräder vielleicht das eine Problem lösen – das Ende der Abhängigkeit von fossilen Energien. Aber ganz neue schaffen – das Ende des Mäusebussards. Tatsächlich steht hinter der Ablehnung von Windkraft oft das Gefühl, sich gegen die Zumutungen zur Wehr setzen zu müssen, die das Ende der Normalität mit sich bringen, wie wir sie bislang gekannt haben. Und so wird dann unsichtbar, dass diese Normalität auch schon bislang nicht für alle galt – nicht für viele, die zu marginalisierten Gruppen innerhalb unserer Gesellschaft gehören, und nicht für jene, die in Ländern leben, in denen Deutschland die Folgen seines Wohlstands deponiert hat: in Form von Müll, Ausbeutung oder zunehmend eskalierender Erderhitzung. Vor zwei Jahren fielen in Indien und Bangladesch Vögel tot vom Himmel. Der Grund waren keine Windräder. Wegen der Hitzewelle mit Temperaturen von teils fast 50 Grad waren Seen und Flüsse so ausgetrocknet, dass die Vögel kein Wasser mehr fanden. Sie dehydrierten in der Luft.
Es sind nicht nur Vögel, die gerade geschreddert werden. Es ist auch die Hoffnung, der Spuk möge endlich ein Ende nehmen. Bitte! Keine Nachrichten mehr von Waldbränden, Hochwassern, Temperaturrekorden. War die Elbe nicht auch vor 100 Jahren schon ausgetrocknet? Na also. Nur bei genauerem Hinsehen kommt die Na-also-haftigkeit ins Straucheln. Klar gab es auch früher schon Extreme. Verändert hat sich die Wahrscheinlichkeit, wie oft sie auftreten: Die Häufigkeit monatlicher Hitzeextreme hat in den vergangenen zehn Jahren um das 90-fache zugenommen.
Über welche Gefühle sprechen wir eigentlich?
Meine Überzeugung, dass wir jetzt damit beginnen müssen, solchen Debatten auf den emotionalen Grund zu gehen, haben Joachim und Christoph kommentiert. Joachim schrieb, es sei ein schöner Gedanke, sich heute im Schmerz zu begegnen, um eine gemeinsame Idee fürs Morgen zu entwickeln. Genau dieses Angebot machten allerdings auch Männer wie Donald Trump. „Denn während der Begegnung im Schmerz kann man in verschiedene Richtungen aufbrechen. Wird aus Schmerz Angst, versucht man, sich an vergangenem Glück festzuhalten und lehnt alles Neue ab. Man blickt voll Zuversicht in die Vergangenheit.“ Und Christoph sagt: „Auf den ersten Blick habe ich mich gefragt, ob wir nicht ohnehin schon ziemlich viel über Gefühle in politischen Kontexten reden. Über die Ängste der vermeintlich 'Abgehängten', über Hass im Netz und außerhalb, über 'gefühlte Wahrheiten' im Gegensatz zu den faktischen.“
Ich finde beide Kommentare klug, weil sie zeigen: Gefühle zu einem Bestandteil des politischen Gesprächs zu machen, ändert noch gar nichts, solange es keine Klärung dazu gibt, über welche Gefühle wir eigentlich sprechen und wie wir damit umgehen. So wie nur noch Gemüse zu kaufen, noch nicht für einen gesünderen Ernährungsstil sorgt. Man muss schon auch wissen, wie man es zubereitet. Sonst landet nach zwei Wochen alles im Müll, man sitzt schon wieder vor einem BigMac und fragt sich, warum zur Hölle es nicht klappt mit der Ernährungswende.
Der Hass im Netz, gefühlte Wahrheiten und „Make America Great Again“ sind noch keine Gefühle, über die man ins Gespräch kommen könnte. Wer gegen Minderheiten hetzt, Andersdenkende verächtlich macht und „Klimahysterie!“ schreit, wenn die nächste wissenschaftliche Studie Belege liefert dafür, dass mit dem immer weiter steigenden CO2-Anteil in der Luft die Erdatmosphäre bereits jetzt den schmalen Korridor verlassen hat, der in den vergangenen 2000 Jahren Grundlage für menschliche Entwicklung war, macht nicht die eigenen Gefühle zum Thema. Die sind vielmehr der Antreiber, der sich hinter scheinbar logischen und zwingenden Argumenten versteckt. Das lässt sich jeden Tag beobachten. Das Netz ist voll von Belegen, die zeigen sollen: Viel zu viele Ausländer. Klimaschwankungen hat‘s immer schon gegeben. Und: Mit erneuerbaren Energien kommt die Dunkelflaute.
Trumpotismus, die Herrschaft des Affekts
Der Trumpotismus, die Herrschaft des Affekts, macht aus diesem Vorgehen ein politisches Programm. Er bietet keinen Austausch an darüber, dass sich viele Menschen ungerecht behandelt fühlen, Angst haben vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes oder sich sorgen um ihre eigene Zukunft und die ihrer Kinder. Wie auch. Täte etwa Trump genau das, käme schnell auf den Tisch, dass Männer wie er selbst von den Verhältnissen unmittelbar profitieren, die solche Ungerechtigkeiten hervorgebracht haben. Der marktradikale Kapitalismus, der so tut, als wäre jede Begrenzung der erste Schritt in den Kommunismus, ist angewiesen auf das ungebremste Verfeuern fossiler Energien und die schrankenlose Ausbeutung billiger Arbeitskräfte.
Trump in den USA genauso wie die AfD in Deutschland sind Herrscher des Affekts. Sie bedienen eine Sehnsucht nach einer vermeintlich heilen Vergangenheit mit der Vormacht weißer Männer, einem traditionellen Familienbild und einer homogenen Nation. Diese Sehnsucht lässt sich nur am Leben halten mit Affekten, die so verführerisch sind, gerade weil sie kein Nachdenken, kein Analysieren erfordern. Dann sind an den gegenwärtigen Krisen „die Ausländer“ schuld. Oder „die Woken“. „Die Homosexuellen.“ „Die Links-Grünen“.
Der Trumpotismus funktioniert nach dem Prinzip Kartoffel-Chips: Hat man einmal in die Tüte gegriffen, kann man solange nicht mehr aufhören, bis der Organismus verstopft ist. Und so geht unter, dass er für eine Politik steht, unter der jene am meisten zu leiden haben, die sich davon die größte Heilung versprechen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat dieses Phänomen das „AfD-Paradox“ genannt.
„Geht Neubauer, gehen die Krisen“
Zu was für Konsequenzen diese Art der Verschleierung führt, lässt sich auch bei uns schon beobachten. In dieser Woche hat der Landrat von Mittelsachsen Dirk Neubauer angekündigt, sein Amt nach nicht einmal zwei Jahren wieder aufzugeben. Neubauer ist einer jener Politikerinnen und Politiker, die die dringend notwendige Weltveränderung ins Lokale überführen wollen. Dorthin, wo es konkret wird: Wie oft fährt der Bus? Woher kommt der Strom? Haben wir genug Kitaplätze? Neubauer war Bürgermeister der erzgebirgischen Stadt Augustusburg, trat 2017 in die SPD ein, weil er die Partei von innen erneuern wollte, und 2021 wieder aus. Im Juni 2022 wurde er zum Landrat gewählt. Es war eine kleine Sensation. Er ist der einzige sächsische Landrat, der nicht von der CDU kommt.
In dieser Funktion hat er versucht, die Energie- und Mobilitätswende voranzubringen und zukunftsfähige Antworten zu finden zu Migration, Europa und Weiterentwicklung demokratischer Instrumente. Die Menschen direkt einzubinden in Entscheidungsprozesse, auch und gerade jenen zuzuhören, die sich mit dem Wandel schwertun, weil: siehe oben – das war und ist sein wichtigstes Anliegen. Seinen Rücktritt hat er erklärt mit den Anfeindungen aus dem rechtsextremen Lager, das ihn, ganz im Trumpschen Sinne, zum Mensch gewordenen Krisenableiter erklärt hat. Motto: Geht Neubauer, gehen die Krisen. Dass dazu die große Mehrheit schweigt, die, wie Neubauer sagt, mit den Schultern zuckt und fragt „Was geht mich das an?“, sei für ihn der Grund gewesen, jetzt die Reißleine zu ziehen.
Gefühle sind der Türöffner für eine neue Vorstellungskraft
Dabei werden die Krisen nicht kleiner dadurch, dass Menschen wie Neubauer verschwinden. Im Gegenteil. Deshalb braucht es einen Weg, dem Unbehagen Raum zu geben. Den Gefühlen auf den Grund zu gehen, die zu Aggression, Hetze und dem Glauben führen, die Welt werde ein besserer Ort, wenn man jenen folgt, die die Wahrheit für ein Produkt halten, das man den eigenen Wünschen anpassen kann. Die Neurowissenschaftlerin Maren Urner hat ein Buch mit dem Titel „Radikal emotional“ geschrieben. Sie erklärt darin, dass das Sprechen über Gefühle – darüber, woher der Zorn, der Schmerz, die Sorgen kommen – wie ein Türöffner wirkt, weil man erst dann über die Ursachen der eigenen Unzufriedenheit und ihre Lösungen sprechen kann. Zum anderen werden auf diese Weise die Hirnareale aktiv, die sich eine andere politische und gesellschaftliche Realität vorstellen können. Diese Vorstellungskraft von einer anderen Zukunft zu aktivieren, ist nicht das Ziel des Trumpotismus – es ist seine größte Angst. Und deshalb setzt er sich so vehement dagegen zur Wehr.
Es wird ein langer Weg werden, um die Herrschaft des Affekts zu brechen, und es wird nicht gehen ohne konkrete materielle Veränderungen. Die AfD ist auch deshalb so erfolgreich, weil in Ostdeutschland die Daseinsvorsorge so schwach und die wirtschaftliche Situation so unsicher sind. Auch ich selbst ringe immer wieder um meine Zuversicht. Was mir dabei hilft, ist das Wissen darum, wie viele Menschen um mich herum die Welt nach wie vor am Leuchten halten. Am vergangenen Wochenende war ich auf einem zauberhaften Festival namens „Detect Classic“ mit elektronischer und klassischer Musik. Ich habe unter anderem ein Streichquartett der Jungen Norddeutschen Philharmonie gehört. In dem Stück, das es in einer kleinen Kirche aus dem 13. Jahrhundert aufgeführt hat, steckt für mich alles, was unsere Welt gerade ausmacht: das Chaos und die Verwirrung genauso wie die Schönheit und die Hoffnung: „Shine You No More“ vom Danish String Quartett.
(Danish String Quartett - Shine You No More)
Das freut mich sehr, dass ich mit meinem Kommentar einen Anstoß zu diesem Folgeartikel gegeben habe. Ich verstehe dich so, dass es dir nicht ums reine 'den Gefühlen Raum geben' als Selbstzweck geht, sondern um einen anderen Umgang mit Ihnen. Sie nicht 'missbrauchen' wie die Populisten, sondern ihnen irgendwie etwas Konstruktives abgewinnen. Könnte man das so sagen?
Trump sprach und spricht die Leute emotional an, Biden tat dies nicht, weil zu sehr in seiner Elite-Bubble verhaftet und verlor fast die Wahl. Auch Höcke machte eine bessere Figur als Voigt, weil er authentischer und nicht so streberhaft auftrat. Das richtige emotionale Auftreten macht, wohl weit mehr in Deutschland, die Leute dann aufmerksamer für die dann folgenden Themen, welche mehr die Ratio bedient.