Glück, Schmerz, Politik – it's a match
Warum wir damit beginnen müssen, Gefühle zu einem Bestandteil politischer Debatten zu machen
(Der Newsletter zum Anhören.)
Das Glück, der Schmerz und was das mit Politik zu tun hat – das ist der Name dieses Newsletters, der von nun an regelmäßig erscheinen wird. Der Titel beschreibt ein Experiment. Es ist der Versuch, mit allen, die darauf Lust haben, Antworten auf ein paar grundlegende Fragen unserer Zeit zu finden.
Zum Beispiel: Wie lassen sich die Verbindungen aufzeigen, die zwischen der Welt in uns und der um uns bestehen – ohne dabei den Eindruck aufkommen zu lassen, die Krisen unserer Zeit seien schwups gelöst, sobald nur alle damit anfangen, auf ihren eigenen Atem zu achten und den Schmerz wegzumeditieren?
Oder: Wie lässt sich die Überzeugung in Worte packen, dass all die Veränderungen, die es jetzt so dringend braucht, weil uns sonst nicht nur die Ökosysteme und die Artenvielfalt um die Ohren fliegen, sondern auch die Demokratie und der Zusammenhalt, mit einem Perspektivenwechsel beginnen, den einem niemand abnehmen kann – ohne dabei der Erzählung auf den Leim zu gehen, dass die Verantwortung für den Zustand der Welt bei jedem und jeder Einzelnen liegt – wo doch offensichtlich ist, dass diese Erzählung von jenen machtvoll in die Welt gepresst wurde und weiter wird, die davon selbst unmittelbar profitieren – mit noch mehr Macht, Geld und dem Privileg, das eigene Leben fröhlich auf dem Rücken jener austragen zu können, die sich nicht dagegen wehren können?
Und nicht zuletzt: Wie lassen sich all die Gedanken, die jetzt hinaus müssen in die Welt, so auf den Punkt bringen, dass sie einerseits der Komplexität und dem Chaos gerecht werden, die unsere Welt inzwischen ausmachen – und andererseits nicht zu Schachtelsätzen über mehrere Zeilen führen, bei denen schon nach zwei Minuten die meisten weitergeklickt haben, weil sie sich denken: Die Welt ist schon verworren genug – da brauche ich nicht auch noch verwirrende Texte.
Noch alle da?
Expedition zum Rand des Paradigmenwechsels
Ich habe auf diese Fragen und noch viele mehr keine endgültigen Antworten. Deshalb starte ich diesen Kanal. Weil ich mich auf die Suche machen möchte gemeinsam mit allen, die mir auf dieser Expedition zum Rand des Paradigmenwechsels folgen wollen. Auf dem Weg dorthin werden wir durchs Dickicht des Dschungels namens Leben ziehen, Regen und Mücken aushalten und dazwischen immer wieder Orte finden, an denen wir kurz durchatmen und still das Zwitschern der Vögel und die Strahlen der Sonne genießen können. Um es mal ganz nüchtern zu formulieren.
Ich befinde mich auf dieser Expedition schon länger. Ich bin Journalist und habe vor inzwischen 14 Jahren damit angefangen, mich mit Menschen über ihren Blick auf Demokratie, Kapitalismus, Gerechtigkeit, die Liebe und den Weg zum Glück zu unterhalten. Ich war bei den Männer-Fußball-Weltmeisterschaften 2010 in Südafrika und 2014 in Brasilien. Es ging bei beiden Reisen nur am Rand um die Frage, wer die WM gewinnt und wie weit die Deutschen kommen. Wir wollten vielmehr wissen, was man über eine Gesellschaft herausfindet, wenn man den Fußball als Flirttrick verwendet und auf diese Weise mit Menschen in den Townships und Favelas einerseits und in den Villen hinter hohen Mauern andererseits ins Gespräch kommt.
Und dann waren wir schließlich im Jahr 2015 beim Klimagipfel in Paris, wo wir mit einem elfköpfigen Team sieben Verhandlerinnen und Verhandler begleiteten: Menschen aus den Delegationen Russlands, Indiens, Gambias und Deutschlands sowie Beraterinnen und Beobachter aus den USA, Bangladesch und den Niederlanden. Dort erlebte ich zwei Wochen lang, wie knapp 200 Nationen um eine Lösung für die größte Herausforderung in der Geschichte der Menschheit rangen: Wie kann sich die Staatengemeinschaft auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die Klimakrise einigen, wenn die einen ihren Wohlstand über zwei Jahrhunderte auf dem Verbrennen von Öl, Gas und Kohle aufgebaut haben, während die anderen, diejenigen, die am wenigsten dazu beigetragen haben, schon heute ihre Lebensgrundlagen in Fluten, Tornados oder Waldbränden verlieren?
Gefühle als Bestandteil politischer Debatten
Von dem Gipfel kam ich tief beeindruckt zurück. Zum einen, weil ich in den zwei Dezemberwochen Tausende von Menschen um mich gehabt hatte, die sehr konkrete Vorstellungen davon anzubieten haben, wie der Paradigmenwechsel in eine fossilfreie Zeit gelingen kann: ökologisch, ökonomisch, sozial, politisch. Es ist schlicht nicht wahr, dass jene, die einsehen, wie dramatisch die Lage ist, anderen ihr Leben wegnehmen und die Freiheit beerdigen wollen. Die Alternative zu unserem gegenwärtigen Politik- und Wirtschaftsmodell ist nicht der Kommunismus. Sondern eine Marktwirtschaft nach demokratischen Regeln, die bereit ist, sich Grenzen zu setzen und Reichtum und Einfluss gerechter zu verteilen.
Und zum anderen hatte ich erlebt, wie das Ringen um politische Lösungen nur an der Oberfläche von CO2-Grenzwerten, der Verkehrswende oder der Frage handelt, wie viel Fleisch wir noch essen können. Tatsächlich ging es immer auch um die dahinter liegenden Emotionen. Menschen fürchten um Freiheit. Um Wohlstand. Um ihre Autonomie. Weltweit sind Verlustängste und Sorgen vor einer ungewissen Zukunft im Umlauf, die ein rationales Handeln oft unmöglich machen. Solange diese Gefühle nicht benannt und besprochen werden, wird die Menschheit auch in der Klimakrise nicht weiterkommen. Daran werden noch so viele Klimagipfel nichts ändern. Die vergangenen 40 Jahre sind dafür ein beeindruckender wie bestürzender Beleg.
Eine gemeinsame Idee fürs Morgen
In diesem Frühjahr schließlich war ich eingeladen zu einer Konferenz namens Global Happiness Forum, die sich zum Ziel gesetzt hat, genau an diesem Punkt anzusetzen: Wie lassen sich die Vorstellungen der westlichen Welt von Freiheit, Wohlstand, Fortschritt verbinden mit den Philosophien aus der östlichen Welt vom Sinn des Lebens, von Glück und dem, was ein tatsächlich reiches Leben ausmacht?
Diese Reise markierte für mich das Ende der einen und den Beginn einer neuen Etappe. Aus biographischen Gründen beschäftige ich mich schon sehr lange mit der Frage, was ein zufriedenes, Sinn stiftendes und glückliches Leben ausmacht. Je älter ich wurde, umso mehr wusste ich, dass wir uns in unserer westlichen Kultur einem hohlen Versprechen von Glück verschrieben haben. Beim Global Happiness Forum fand ich ein paar Wegweiser dazu, wie wir uns alle gegenseitig zu dem Perspektivenwechsel inspirieren können, den es jetzt braucht, erst recht in einer Zeit, in der uns die Krisen so nahe kommen, dass man kaum noch zum Durchatmen kommt.
(Gruppenfoto mit dem Organisationskomitee des Global Happiness Forum)
Ich werde in diesem Newsletter von meinen Gedanken und Schlüssen erzählen dazu, wie Glück und Schmerz zu einem Bestandteil der politischen Debatte werden und wie daraus andere, bessere Gemeinschaften entstehen können. Ich werde davon erzählen, wie ich es geschafft habe, den Schmerz in meinem Leben zu einem Freund zu machen. Und ich werde jene vorstellen, die mich auf meiner Reise beeindruckt, begleitet und berührt haben. Denn so bedrohlich uns die Gegenwart im Moment auch vorkommen mag, so sehr gibt es im Moment überall auf der Welt Menschen, die jeden Tag für eine fröhlichere und zugewandtere Vorstellung von der Zukunft aufstehen. Sie werden nur noch nicht genug gehört und gesehen. Das muss sich ändern.
Wie viele Menschen mir auf dieser Expedition folgen werden? Ich habe keine Ahnung. Doch nach all den Jahren, die ich mich jetzt schon auf meiner Weltwanderung befinde, kann ich sagen: An die Idee, sich heute im Schmerz zu begegnen, um daraus eine gemeinsame Idee fürs Morgen zu entwickeln, glaube ich wie an keine andere. Und das ist doch ein guter Anfang.
(Jovanotti - Terra Degli Uomini)
Hey Kai, das ist ein sehr interessanter Ansatz und ein riesiges Thema! Bin gespannt wie es sich entwickelt. Jedenfalls wünsche ich dir viel Glück dabei und viele gute Erkenntnisse, ich werde am Ball bleiben. Liebe Grüsse Claudia
Klingt nach einer spannenden Reise. Auf den ersten Blick habe ich mich gefragt, ob wir nicht ohnehin schon ziemlich viel über Gefühle in politischen Kontexten reden. Über die Ängste der vermeintlich 'Abgehängten', über Hass im Netz und außerhalb, über 'gefühlte Wahrheiten' im Gegensatz zu den faktischen. Bin also gespannt, mehr darüber zu erfahren, was für ein Paradigmenwechsel dir da vorschwebt.